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Gerade junge Pferde brauchen zu Beginn
der Ausbildung etwas mehr Tempo, um
sich auszubalancieren. Sie können dabei
auch nicht sofort gleichzeitig durchs Genick
gehen. Der Hals ist ihre Balancestange, und der
muss lang und frei sein, damit sie lernen können,
den Reiter zu tragen.
Unschön und folgenschwer:
„Gebremste“ Jungpferde
Leider häufi g zu sehen sind zusammengezogene
Jungpferde, denen der Reiter den Kopf auf
die Brust zieht und die unter allen Umständen
langsam laufen sollen. Der Grund ist die Angst
des Reiters, das Pferd könne ihm weglaufen.
Die Folge ist ein verspanntes Pferd, das den Rücken
festhält und auf der Vorhand liegt. Wenn
die Verspannung lange genug anhält, wird das
Pferd beginnen, sich auf die eine oder andere
Weise zu wehren, denn es geht ihm nicht gut.
Solche Pferde laufen dann weg, sobald man die
Zügel lang lässt, andere bocken oder scheuen.
Manche verlieren auch ganz den Vorwärtsdrang
und werden „klemmig“, d.h. sie halten sich fest
und reagieren nicht mehr auf den vorwärtstreibenden
Schenkel. Ihre Reiter versuchen dann
mit noch mehr Druck, Strafe oder mit weiteren
Zwangsmitteln wie z.B. schärferen Gebissen
oder Schlaufzügeln das Problem zu lösen. Dadurch
wird natürlich das Problem nur verschärft.
Manch ein Pferd resigniert bei einer solchen
Ausbildung und nimmt die Tortur irgendwann
einfach hin. Andere Tiere bekommen ernste
körperliche Probleme und beginnen zu lahmen.
Die Pferdephysiotherapeuten oder Osteopathen
haben dann gut zu tun, aber sie können auch
nichts ausrichten, wenn sich der Trainingsstil
nicht ändert.
Vertrauensverhältnis zwischen Pferd und
Reiter ist Basis der Ausbildung
Pferde sind Fluchttiere und sie rennen, wenn
sie Angst haben. Daher ist das Wichtigste in der
Ausbildung, dem Pferd seinen Job beizubringen
und ein Verhältnis zwischen Reiter und Pferd
zu schaffen, bei dem sich beide gegenseitig
vertrauen und miteinander wohlfühlen. Das erreicht
man nicht mit Kraft oder Schmerzen, sondern
nur mit Lob und Verständnis.
Junge Pferde sollte man vor dem Reiten ein
paar Minuten ablongieren oder im Round Pen
laufen lassen, damit sie Gelegenheit zum Austoben
haben, bevor der Reiter im Sattel sitzt.
Vorwärts Reiten!: Aufbau von Balance
und Kraft zur Vorbereitung auf langsame,
getragene Gänge
Gerade zu Beginn der Ausbildung muss man
es dem Pferd gestatten, sein Tempo zu fi nden.
Das bedeutet nicht, dass man das Pferd unkontrolliert
unter sich rennen lassen soll. Aber man
darf auch keinen Herzinfarkt bekommen, wenn
es mal ein paar schnellere Schritte macht. Oft
ist es eben die mangelnde Balance, die das
Pferd dazu bringt z.B. beim Antraben oder Angaloppieren
zuerst etwas im Tempo zuzulegen.
Der Reiter sollte darauf gar nicht reagieren,
geschmeidig sitzen und dem Pferd Gelegenheit
geben, seine Balance wieder zu fi nden. Ideal ist
es z.B. im Gelände eine schöne lange Strecke
durch zu traben oder zu galoppieren und das
Pferd frei hinter einem erfahrenen älteren Pferd
herlaufen zu lassen, bis man spürt, wie der Rücken
schwingt und es den Hals von alleine fallen
lässt.
Manche Jungpferde reagieren auf das ungewohnte
Reitergewicht aber genau andersherum:
Sie rennen nicht, sondern sie gehen gar nicht
vorwärts. Diese Pferde muss man erst recht
nicht bremsen, sondern in die Gänge bringen
und energisch vorwärtsreiten, bis sie frei laufen
ohne ständig angetrieben zu werden.
Bill Dorrance: „Mir kann kein Pferd
durchgehen, ich kann immer schneller
reiten, als es laufen kann.“
Auch in der Bahn sollte der Reiter zunächst große
Linien reiten. Wenn das Pferd zu schnell wird,
kann man z.B. auf den Zirkel gehen und warten
bis das Pferd im Tempo zurückkommt.
Mit fortschreitender Ausbildung verbessert das
Pferd seine Balance und die Kraft nimmt zu. Es
wird dann in der Lage sein, zunächst für einen
kurzen Moment langsamer gehen zu können
ohne dabei Takt und Losgelassenheit zu verlieren.
Das wird mit einer Pause belohnt.
Was ist „schnell“ – was ist „langsam“?
„Schnell“ und „langsam“ sind dabei sehr subjektive
Begriffe. Ich fi nde es Besorgnis erregend,
wenn heute viele Westernreiter ein frisch und
frei vorwärtsgehendes Pferd, das zufrieden und
mit schwingendem Rücken dahertrabt, schon
als „schnell rennendes“ Pferd ansehen.
Wie schnell und wie langsam ein Pferd gehen
kann, hängt mit seinem Exterieur zusammen.
Ein Pferd mit einer kräftigen Hinterhand und
einem balancierten Gebäude hat es leichter,
sein Gewicht und das des Reiters zu tragen.
Wie balanciert ein Pferd von Natur aus ist, sieht
man gut, wenn man es frei im Round Pen laufen
lässt. Das eine Pferd kann auf einem Zirkel
von 15 – 17m ohne Probleme galoppieren,
während ein anderes lieber schnell trabt. Dabei
fallen junge Pferde im Round Pen häufi g auf
einer Hand in Kreuzgalopp oder Außengalopp;
das hängt damit zusammen, dass sie noch nicht
geradegerichtet sind und es ihnen schwer fällt,
sich auf beiden Händen gleichmäßig zu biegen.
Das ist ein Fehler, der mit der Ausbildung und
der damit verbundenen Gymnastizierung behoben
werden kann.
Tempo verlangsamen durch
mehrmonatiges Training
Erst wenn das Pferd auf großen Linien taktmäßig
und losgelassen vorwärts geht, kann man
damit beginnen, es durchs Genick zu stellen
und es vorwärts Abwärts zu reiten. Dann beginnt
die biegende Arbeit auf beiden Händen.
Ein Jungpferd versteht nicht, wenn man es mit
dem Schenkel antreibt und gleichzeitig mit der
Hand rückwärts wirkt. Daher sollte man zunächst
Schenkel und Hand nicht gleichzeitig
verwenden. Erst wenn das Pferd nach mehreren
Monaten Training die Hilfen verstanden hat und
genügend nachgiebig ist, kann man damit beginnen,
es vorsichtig gegen die Hand zu treiben
und dadurch das Tempo verlangsamen.
Vorwärts reiten – auch die älteren Pferde!
Aber auch ein fertig ausgebildetes Pferd, egal
welcher Disziplin, muss zum Lösen und zur
Verbesserung von Kraft und Balance vorwärts
geritten werden. Es muss energisch antreten
können, wenn der Reiter das verlangt – und genauso
willig im Tempo zurückkommen. Es kann
sich nur in einer guten Selbsthaltung tragen,
wenn es dabei gerade gerichtet ist. Nur dann
kann es Last auf der Hinterhand aufnehmen
und diese dort in einem langsamen Tempo halten,
oder energisch die Kraft nach vorne bringen
und das Tempo erhöhen.
Ein geradegerichtetes, balanciertes und
losgelassenes Pferd stellt dem Reiter seine
Kraft in jeder Form zur Verfügung, und es
wird das gerne tun.
Doch der Weg dorthin ist weit. Auch ein talentiertes
Pferd wird mehrere Jahre Training brauchen,
bis es am losen Zügel in Selbsthaltung
gehen kann.
Ein Pferd kann langsam gehen, wenn es die nötige
Kraft dazu hat. Ein mit Hilfe der Zügel nach
hinten gerittenes Pferd ist keine Lösung und
darüberhinaus immer ein trauriger Anblick.
Quelle:
Petra Roth-Leckebusch für westernreiter (EWU)
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Petra Roth-Leckebusch für den Bereich Zucht. Zum
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