Es ist ein immerwährendes Diskussionsthema nicht nur unter
Westernreitern, sondern in der gesamten Pferdeszene: Wann soll
und kann ein Pferd eingeritten werden? Im Winter und Frühjahr
ist es für viele Jungtiere soweit; der Ernst des Lebens beginnt mit
der Ausbildung unter dem Sattel. Anlass genug, die Diskussion
aus anatomisch-fachlicher Sicht zu beleuchten.
Es ist sehr schwer und eine Kunst, den richtigen
Zeitpunkt zu bestimmen, wann ein Pferd angeritten
werden soll. Nicht umsonst gehen die
Meinungen von vielen Pferdemenschen dazu
weit auseinander.
Der richtige Zeitpunkt des Anreitens steht jedoch
nicht zuletzt auch in engem Zusammenhang
zu der Frage, wie das Pferd angeritten
werden soll.
Seelische und körperliche Reife ausschlaggebend
Für einen guten Start in das Leben als Reittier das grundsätzlich
Wichtigste ist immer die körperliche und seelische Reife des Pferdes.
Die seelische Reife basiert dabei auf einem gesunden, gewachsenen
Vertrauen zum Menschen. Ist dies vorhanden, bewältigen Pferde
willig und ohne Stress von ihnen verlangte Aufgaben. Ist ein Pferd
stets daran interessiert, Neues zu lernen, ist es sicher auch
bereit, einen Menschen auf sich zu dulden. Das funktioniert aber
nur, wenn auch die körperlichen Voraussetzungen gegeben sind.
Verbindet das Pferd mit dem Reiter Schmerzen, wird es niemals
Spaß daran haben, sich unter seinem Reiter zu bewegen und zu präsentieren.
Wann ist ein Pferd also körperlich reif genug, um geritten zu
werden?
Epiphysenfuge am Karpus gibt wichtige Hinweise zur körperlichen
Reife
Eine Kontrolle der Epiphysenfuge am Karpus (distale Radius-Epiphysenfuge)
bringt erste, grundlegende Erkenntnisse zur körperlichen Entwicklung
eines Pferde: Diese sollte geschlossen sein, was in der Regel
zwischen dem 22. und 42. Monat geschieht und sich röntgenologisch
leicht feststellen lässt. Bis dahin sind auch alle anderen Epiphysenfugen
geschlossen, mit Ausnahme der Apophysen des Beckens, die erst
mit 4,5 bis 5 Jahren verknöchern.
Entwicklung von Gelenken und Gelenkknorpel wichtigstes Gut
Wichtiger als die Epiphysenfugen sind noch die Gelenke des Tieres.
Der hyaline Knorpel, der die Gelenke überzieht, hat weder Nervengewebe
(und kann also nicht schmerzen), noch wird er durch andere Gefäße
versorgt. Seine Ernährung findet allein durch umgebende Strukturen
statt, was auch bedeutet, dass seine Regenerationsfähigkeit bei
entstandenen Schäden sehr gering ist.
Ein Pferd kann also trotz geschlossener Wachstumsfugen durch das
Reiten Schäden davon tragen, wenn der Gelenkknorpel erst mangelhaft
ausgebildet ist!
Hyaliner Knorpel passt sich – sorgsames, durchdachtes Training
vorausgesetzt – aber auch höherer Belastung an, indem er vermehrt
Substanz ansetzt und somit belastungsfähiger wird. Da die Qualität
des Knorpelwachstums jedoch ganz entscheidend mit einer guten
Aufzucht (viel Bewegung und ausgewogene Ernährung) zusammenhängt,
sollte auch dieser Faktor mit einbezogen werden.
Voraussetzung für das intensivere Bodentraining (Longieren, Freiarbeit
und Handpferdereiten), das vor dem Anreiten zur Muskelkräftigung
erfolgen sollte, sind also geschlossene Epiphysenfugen und ein
gesunder, belastbarer Gelenkknorpel. Dies ist im Allgemeinen mit
drei bis fünf Jahren der Fall. Das Pferd sollte zu diesem Zeitpunkt
außerdem insgesamt und in sich harmonisch wirken, statt den Eindruck
zu machen, dass sich „noch etwas verwächst“.
Wann und wie mit der „Arbeit“ anfangen?
Man sollte Pferde rechtzeitig starten – im Sinne einer vernünftigen
Erziehung. Die beginnt schon im Fohlenalter und setzt sich in
der Vorbereitung als Reitpferd fort.
Leichte Arbeit kann dem Pferd also schon vorher zugemutet werden.
Dazu gehören alle Arten der Bodenarbeit, ausgenommen unkorrektes
Longieren und das Arbeiten auf vielen engen Wendungen. In dieser
Phase wird die wichtigste Basis für die spätere Zusammenarbeit
gelegt, und man sollte sich hier viel Zeit nehmen, um ein arbeitsfreudiges,
vertrauensseliges Pferd zu erziehen.
Die Pferde sollten jeden Schritt verstehen und so Stück für Stück
ihre Basis erhalten. Wichtig ist, dass die Ausbildung wenig Stress
mit sich bringt, sondern viel Geduld und Zeit investiert wird,
die das Pferd verstehen lässt, was es tun soll – es sollte seinem
Ausbilder vertrauen.
Die richtigen Schritte unter dem Sattel
Gehen wir von einem Pferd aus, das entspannt den Reiter auf seinem
Rücken duldet, ruhig und konzentriert bei der Arbeit ist.
Zum Zeitpunkt des Anreitens sollte besonders die Oberlinie gut
trainiert sein, das Pferd sollte gelernt haben, entspannt vorwärts-abwärts
ohne Ausbinder zu laufen, in sich schon etwas gerade gerichtet
sein und gelernt haben, seine Hinterhand aktiv einzusetzen. Die
Muskulatur sollte nicht nur vorhanden sein (z.B. viele Quarter
Horses sehen in ihrer Muskulatur schon „ausgewachsen“ aus, ohne
je gearbeitet zu haben), sondern so trainiert werden, dass die
Muskelketten koordiniert miteinander arbeiten. Auch die Muskeln
der Hinterhand sollten bereits kräftig trainiert sein, ebenso
die Aufhängemuskulatur der Vorhand.
Durch dieses dem Reiten vorgeschaltete Training wurde eine gewisse
Ausdauer aufgebaut (cardiovaskuläres, aerobes Training, Dauer
3- 12 Monate), die Kraft gesteigert (Strength Training, an anaerober
Schwelle) und alle Strukturen des Bewegungsapparates auf die weitere
Belastung vorbereitet.
Die Pferde sollten anfangs viel geradeaus geritten werden. Zunächst
reicht es, zwei Minuten auf dem Pferd zu sitzen! Die Zeitspanne
kann dann um ca. eine Minute pro Training ausgebaut werden. Je
nach Typ des Tieres wird in der Halle oder im Gelände weiter an
der Tragfähigkeit gearbeitet.
Findet das Pferd sein Gleichgewicht unter dem Reiter, wird langsam
sowohl das Tempo als auch der Schwierigkeitsgrad (leichte Kurven,
Figuren) erhöht. Durch die Bodenarbeit sollten die Pferde die
entsprechenden Kommandos für die Gangarten bereits kennen, so
dass es in der Regel wenig Zügel- und Schenkelhilfen zur Regulierung
der Geschwindigkeit braucht. Da auch das Prinzip des Weichens
durch Druck oder Zug bereits gefestigt sein sollte, machen die
Pferde in den ersten Monaten des Einreitens schnell Fortschritte
und akzeptieren Zügel und Schenkel gut.
Die Anlehnung an das Gebiss wird gerade von unausbalancierten
Pferden gesucht und sollte solange bestehen bleiben, bis das Pferd
tragfähig genug ist, um sich von dem Gebiss abzustoßen. Seitengänge,
die vom Boden aus bekannt sind, können bereits eingebaut werden.
In den ersten Monaten des Reitens ist es wichtig, einen guten
Takt und gute Losgelassenheit zu erreichen. Ist ein Pferd eher
triebig, empfiehlt sich das Reiten mit Gerte, um so für das Pferd
gut verständlich mehr Aktivität verlangen zu können.
Oft ist „Faulheit“ auch ein Zeichen von Balanceproblemen oder
Verspannung. Bleiben Pferde „faul“, obwohl sie ihre Balance gefunden
haben, sollte nach tierärztlicher Absprache ein Physiotherapeut
zu Rate gezogen werden, um keine weiteren Probleme zu provozieren.
Sporen sollten höchstens als Korrektur bei Schenkelungehorsam
benutzt werden, ansonsten stören sie die Koordination der Bauch-
mit den Rückenmuskeln.
Gearbeitet wird auf möglichst geraden Linien, flachen Bögen und
möglichst viel Gelände mit bergauf und bergab.
Generell kann gesagt werden: Muskeln sind nach neun Monaten, Knochen
nach einem Jahr sowie Sehnen und Gelenke nach zwei Jahren so trainiert,
dass sie hohen Belastungen standhalten ohne Schaden zu nehmen.
Erst danach sind alle Strukturen soweit gekräftigt, dass mit ersten
schwereren Lektionen und Manövern begonnen werden sollte.
Aus der Praxis habe ich die Erfahrung, dass früh angerittene Pferde
schneller Probleme mit dem aktiven oder passiven Bewegungsapparat
haben. Besonders gute und talentierte Pferde, die sich dem Reiter
anbieten, werden schnell überfordert und auch körperlich geschädigt.
Es gibt das weit verbreitete Vorurteil, Pferde würden mental und
körperlich „zu stark“ werden, wenn sie später eingeritten werden.
Das ist in vielen Fällen falsch. Ist ein Pferd vernünftig und
konsequent von Grund auf erzogen worden, wird es seinen Reiter
auch bei gut entwickeltem Selbstbewusstsein nicht in Frage stellen.
Werden Pferde schon in jungen Jahren geschult, gibt es beim Anreiten
weniger Probleme. Das gilt sowohl psychisch als physisch. Körperlich
sind Pferde erst mit fünf bis acht Jahren endgültig ausgewachsen.
Umso wichtiger für den Körper, dass der Start ins Reitpferdeleben
schonend verläuft.
Das Röntgen der Epiphysenfugen und ein Kontrollblick durch einen
Tierarzt oder Physiotherapeuten zur Überprüfung der Gelenke und
des Muskelstatus sind in jedem Fall empfehlenswert vor dem Anreiten
eines jeden Pferdes! Früh fördern (zunächst ohne Reiter!) – spät
fordern (keine Höchstleistungen vor dem endgültigen Abschluss
des Wachstums)!
Ganz wichtig – Der Blick ins Maul:
Bei jedem Pferd werden die Zähne auf Haken oder Unregelmäßigkeiten
untersucht. Zudem ist gerade bei Pferden ohne Papiere eine Kontrolle
des Alters durch die Zähne interessant. Diese 4jährige Freiberger
Stute hat teilweise die I3 noch nicht gewechselt. Die durchgehenden
Galvayne-Rinnen zeigen auf den ersten Blick, dass es sich um ein
junges Pferd handelt.
Beurteilung der Rückensymmetrie:
An diesem Rücken sieht man deutlich, dass dieses Pferd noch nicht
geritten werden darf. Schulter- sowie Rückenmuskulatur sind nicht
ausgebildet. Die Kruppenmuskulatur ist zwar ausgeprägter, aber
untrainiert. Die Bauchmuskeln sind weich, wenig ausgeprägt und
fast gänzlich untrainiert. Deutlich ist auch die Asymmetrie von
Schulter und Rücken.
Bewegungsanalyse bestätigt den Sicht- und Tastbefund.
Die Gelenke der Stute sind in Ordnung; Bänder und Sehnen könnten
langsam vermehrt belastet werden. Die Muskulatur ist jedoch ungenügend,
Bauch- und Rückenmuskeln arbeiten wenig koordiniert, das Pferd
ist wenig ausbalanciert und zeigt viel zu wenig Antrieb aus der
Hinterhand. Mindestens sechs Monate kontinuierlichen Trainings
liegen vor Besitzer und Pferd. Geistig ist das Pferd der kommenden
Arbeit in jedem Fall gewachsen.
Was sind Epiphysenfugen?
Wirbeltiere kommen nicht mit einem fertig entwickelten Skelett
zur Welt – nach der Geburt fi ndet noch ein weiteres Knochenwachstum
statt. Dabei gibt es zwischen End- und Mittelstück der Röhrenknochen
eine Zone, von der das Längenwachstum ausgeht. Dies ist die sogenannte
Wachstums- oder Epiphysenfuge. Diese Zone besteht aus hyalinem
Knorpel, der verknöchert, sobald das Längenwachstum abgeschlossen
ist. Dies bezeichnet man dann als „Schluss“ der Epiphysenfuge.
Da die Wachstumsfuge an der Speiche („Radius“) mit als letzte
verknöchert und sich an dieser Stelle Röntgenbilder gut anfertigen
lassen, wird diese Wachstumsfuge betrachtet, um Auskunft darüber
zu erhalten, ob das Längenwachstum abgeschlossen ist.
Und was sind Apophysen?
Apophysen sind Knochenfortsätze, die als Ansatzstellen für Bänder,
Sehnen und Muskeln dienen. Sie liegen exzentrisch, also außerhalb
des Gelenkdruckes, und sind zunächst nur knorpelig mit der Epiphyse
des zugehörigen Knochen verbunden. Sie verknöchern nach und nach,
bis zuletzt dann auch die Fuge verknöchert, die die Apophyse noch
vom Knochen trennte. Nach der vollständigen Verknöcherung sind
sie fest an die Knochen angewachsen. Apophysen sind zum Beispiel
der Ellbogenhöcker, die Dornfortsätze der Wirbel, die Hüft- und
Sitzbeinhöcker des Beckens u.a.
Zur Person: Anke Wiedenroth
ist Physiotherapeutin und Osteopathin für Tiere. Zu ihrer Kundschaft
zählen neben Hunden hauptsächlich Pferde. Schwerpunktmäßig ist
sie im Western- und Dressurssport tätig, aber natürlich auch in
anderen Reitweisen, vom Freizeitpferd bis in den Spitzensport,
vom Anfänger bis zum Profi .
„Bei der Arbeit verlasse ich mich am liebsten auf meine Hände
und auf altbewährte ebenso wie auf moderne Behandlungsformen.
Daneben gibt es aber auch die Möglichkeit mittels Laser, Ultraschall,
Strom, pulsierendem Magnetfeld, Akupunktur und Blutegeln zu arbeiten.
Dabei ist das Wichtigste, dass man effektiv hilft, langfristig
denkt, und einen dauerhaft zufriedenen Kunden hat, der versteht
was man warum getan hat. Ich möchte, dass die Besitzer verstehen,
wo das Problem liegt und was man tun kann, um Krankheiten und
Verletzungen schneller abheilen zu lassen, Bewegungseinschränkungen
und Verspannungen zu lösen, die Leistung zu steigern oder hinter
die Ursache von Problemen zu kommen. Ich betreue meine Kunden
gerne dauerhaft, dennoch bin ich dann gut in meinem Job, wenn
meine Kunden mich nur so selten wie möglich sehen!“ Nachhaltigkeit
und Effektivität, Arbeit mit dem Tier und für das Tier, Abstellen
der Ursache und immer eine ehrliche Antwort für den Besitzer –
das ist das Praxiskonzept. Um die Größe des Behandlungsgebietes
der Fahrpraxis (umfassend den Raum Würzburg plus 150 km) übersichtlich
zu halten, und dennoch für Kunden aus weiterer Entfernung und
dem Ausland zur Verfügung zu stehen, reifte die Idee eines eigenen
Reha-Zentrums.
So entstand die Pferdereha-Mainfranken auf Gut Ebenroth, welches
beste Bedingungen für Pferde bietet, entsprechend unserer Philosophie
mit artgerechter Pferdehaltung für die Psyche und physiologisch
korrekten Trainingsmöglichkeiten, um der Gesundung des Pferdes
optimale Bedingungen zu bieten. Auf Gut Ebenroth werden Pferde
neben der klassischen Reha durch Bewegungstrainer physiologisch
korrekt gearbeitet, um mittels Muskelaufbau und Bewegungsschulung
den Therapieerfolg zu festigen. Die Zusammenarbeit mit Tierärzten,
Hufschmieden, Sattlern, Dentisten und vielen anderen Spezialisten
ist selbstverständlich, ebenso wie die Abstimmung mit Trainern
und Therapeuten, die das Pferd nach der Reha weiter betreuen.
Pferdebesitzer können hier übrigens gleichzeitig Urlaub machen,
sowie ebenfalls behandelt und geschult werden.
Weitere Informationen:
Anke Wiedenroth
www.tp-wiedenroth.de,
Henningshof
Dipbacher Straße 2
97247 Untereisenheim
Telefon: 01 70 / 1 82 99 43 oder E-Mail: anke.wiedenroth@t-online.de