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Frage: Warum ist Kolostralmilch so wichtig?
Ulrike Castle: Der Organismus des neugeborenen
Fohlens ist selbst noch nicht in der Lage,
Antikörper zu bilden. Es hat also keine eigene
Immunabwehr. Über die Kolostralmilch erhält
es neben Eiweißen, Vitaminen und Mineralstoffen
auch die Antikörper der Mutter. Das macht
das Fohlen weniger anfällig für Infektionen.
Außerdem hilft das Trinken der Biestmilch beim
Abgang des so genannten Darmpechs. Das ist
der erste Kot, den das Fohlen nach seiner Geburt
absetzt.
Frage: Was passiert, wenn das Fohlen
keine Kolostralmilch bekommt?
Castle: Es ist sehr viel anfälliger für alle Fohlenerkrankungen
und Infektionskrankheiten.
Gesundheitliche Probleme, auch lebensgefährdende,
sind dann vorprogrammiert. Deshalb
sollte man grundsätzlich bei jedem Fohlen im
Zeitraum zwischen 16 und 24 Stunden nach der
Geburt durch eine Blutprobe überprüfen lassen,
ob die Qualität und Quantität der Biestmilch in
Ordnung war.
Frage: Wie viel Zeit hat man,
um die Milch aufzutreiben?
Castle: Eigentlich sollte das Fohlen die erste
Kolostralmilch in den ersten zwei Stunden nach
der Geburt erhalten. Bis 36 Stunden lang kann
es die enthaltenen Abwehrstoffe über die Darmwand
aufnehmen. Danach hat man nur noch die
Chance, Antikörper direkt über eine Blutplasmaübertragung
zuzuführen. Das ist aber nicht
ungefährlich und kann beim Fohlen auch einen
anaphylaktischen Schock verursachen. Besser
ist, sich an einen Fohlennotdienst, den Tierarzt
oder größere Betriebe in der Nähe zu wenden,
um Kolostralmilch zu bekommen. Trinkt das
Fohlen nicht aus der Flasche und die Zeit läuft
davon, so kann der Tierarzt die Milch auch über
eine Sonde direkt in den Magen verabreichen.
Frage: Gibt es irgendeinen sinnvollen
Ersatz für Biestmilch?
Castle: Es gibt künstliche Ersatzprodukte. Darin
sind Antikörper enthalten, aber keine stallspezifi
schen – das Fohlen hat also nur begrenzten
Schutz und der Gehalt der Antikörper im Blut
des Fohlens sollte auf alle Fälle anschließend
auch überprüft werden.
Frage: Könnte man das Fohlen auch bei der toten
Stute trinken lassen oder diese abmelken?
Castle: Nein, das ist nicht möglich. Wenn allerdings
abzusehen ist, dass es der Stute schlecht
geht und sie vielleicht sterben muss, dann sollte
man noch möglichst viel Milch abmelken und
diese dem Fohlen verabreichen. Sehr zu empfehlen
ist, sich in jedem Fall einen Kolostrumvorrat
anzulegen, wenn man züchtet. Dieses kann
auch ohne den Tod einer Stute für ein Fohlen
benötigt werden, z.B. wenn die abfohlende Stute
minderwertiges oder wenig Kolostrum hat.
Dazu melkt man bei einer Stute mit guter Kolostrumqualität
(keine Erstabfohlende!) eine der
beiden Euterhälften aus und lässt anschließend
das Fohlen normal an seiner Mutter trinken. Die
Milch gibt man durch ein Teesieb und friert sie
ein. So kann man einen Vorrat an Kolostralmilch
anlegen, der mindestens zwei Jahre lang haltbar
ist.
Frage: Wie geht es danach weiter?
Raten Sie betroffenen Pferdehaltern eher zu
einer Ammenstute, zum Fohlenhof oder zur
Aufzucht mit der Flasche?
Castle: Die beste Wahl ist sicher eine Ammenstute,
die das verwaiste Fohlen mit Milch
versorgt und ihm das so wichtige Sozialverhalten
beibringt. Zweitbeste Variante ist ein Fohlenhof,
wo es zumindest Spielkameraden gibt. Die
Aufzucht mit der Flasche durch den Pferdehalter
ist eine immense Arbeitbelastung, weil man
in den ersten vier bis sechs Wochen jede Stunde
tränken muss, danach alle zwei Stunden. Außerdem
besteht dabei die Gefahr, dass das Fohlen
auf den Menschen gepolt wird. Das gibt später
Probleme mit dem Sozialverhalten in der Herde
und gegenüber dem Menschen.
Frage: Wie kann man da vorbeugen?
Castle: Man sollte so schnell wie möglich von der Flasche auf eine Schüssel
umsteigen, aus der das Fohlen alleine trinken kann. Ansonsten besteht
noch die Möglichkeit, in der Nähe einer braven Stute zu tränken, damit
beim Fohlen zumindest der Anschein erweckt wird, es werde von einem
Pferd gesäugt. Das machen wir auch bei Stuten, deren Milch vorübergehend
versiegt ist, wir reichen die Flasche unter dem Bauch einer braven
Stute durch.
Frage: Worauf muss man beim Füttern mit der Flasche achten?
Castle: Die Flasche muss nach jedem Tränken ausgekocht werden. Milchreste
kann man später zwar noch einmal aufwärmen, aber sie dürfen
nicht so lange in der Flasche bleiben. Die Temperatur der Milch sollte
etwa gleich sein wie bei einem menschlichen Baby. Um sie zu überprüfen
hält man sich die Flasche nach dem Aufwärmen entweder ans Augenlid
oder an tropft sich etwas auf eine Vene am Handrücken. Das sollte sich
angenehm warm anfühlen. Wir benutzen normale Babyfl aschen mit einem
Nuckel für Schafe. Einen speziellen Pferde-Nuckel gibt es nicht. Man
kann auch einfach das Loch in einem Babynuckel mit einer Nähnadel etwas
vergrößern.
Frage: Können Fohlen gleich auf Anhieb aus der Flasche trinken?
Castle: Nein. Viele wollen den Gumminuckel gar nicht ins Maul nehmen.
Das braucht viel Geduld. Das vorherige Benetzen des Nuckels mit Milch
bringt es schneller auf den Geschmack. Hilfreich ist auch, ein paar Tropfen
der Flüssigkeit seitlich ins Maul rinnen zu lassen, damit das Fohlen auf
den Geschmack kommt, aber unter keinen Umständen so, das das Fohlen
sich verschlucken könnte. Grundsätzlich ist es wichtig, dass das Fohlen
beim Trinken seine natürliche Trinkhaltung mit langem Hals einnehmen
kann. Deshalb sollte man sich zum Füttern seitlich neben das Tier stellen
und den Arm mit der Flasche in der richtigen Höhe nach vorn ausstrecken.
Frage: Welche Stuten eignen sich als Ammen?
Castle: Das hängt von vielen Faktoren ab. Umso zeitnaher der Verlust
des eigenen Fohlens ist, umso größer ist die Chance, dass die Stute ein
anderes Fohlen akzeptiert. Hat eine erstgebärende Stute ein totes Fohlen
zur Welt gebracht, so eignet sie sich nicht als Amme, da sie noch keine
Muttergefühle entwickeln konnte. Dann ist das natürlich eine Charakterfrage.
Es gibt Stuten, die auch andere Fohlen in ihre Nähe lassen und
solche, die nach jedem fremden Fohlen treten und daher ungeeignet sind.
Auch bestimmte Rassen wie u.a. Hafl inger, Tinker und Isländer eignen sich
erfahrungsgemäß besser als andere. Die Größe der Stute ist nicht so entscheidend
– außer es handelt sich um ein sehr kleines Pony.
Damit beim Fohlen zumindest der Anschein erweckt wird es
werde von einem Pferd gesäugt, wird die Flasche unter dem
Bauch einer braven Stute durchgereicht.
Frage: Wie hoch ist die Chance, dass die Amme das Fohlen annimmt?
Castle: Schwer zu sagen. Aber geschätzt etwa 70 Prozent. Das kommt
auch auf die Erfahrung der Menschen an, die die beiden Tiere miteinander
vertraut machen.
Frage: Wie genau läuft so etwas ab?
Castle: Die ersten drei Tage und Nächte müssen Sie als Fohlenbesitzer
komplett zur Verfügung stehen. Da müssen Sie immer dabei sein. Im besten
Fall – aber das ist selten – wiehert die Stute und nimmt das Fohlen
sofort an. Wahrscheinlicher ist aber, dass Sie die ersten Trinkversuche mit
drei Helfern unterstützen müssen. Einer trenst die Stute auf und bleibt am
Kopf stehen. Er hält den Kopf, lobt und tadelt die Stute mit der Stimme,
je nachdem, welches Verhalten sie zeigt. Ein anderer Helfer steht auf der
Seite des Fohlens an der Hinterhand und legt die Hand auf die Flanke der
Stute, damit sie nicht gleich versucht ist, nach dem Fohlen zu treten. Der
dritte Helfer hebt den Vorderfuß der Stute auf.
Frage: Dann lässt man das Fohlen einfach draufl os?
Castle: Man sollte vorher dafür sorgen, dass es zwar etwas hungrig ist,
aber nicht völlig ausgehungert. Sonst stößt es der Stute zu stark ins Euter
und macht sie dadurch unleidlich. Lassen Sie die Stute erst am Fohlen
schnuppern. Wenn diese erste Begegnung friedlich verläuft, führen Sie
es ans Euter. Einer muss es dabei halten. Es sollte nicht frei in der Box
herumlaufen. Anschließend kommt das Fohlen in der Nachbarbox, idealerweise
mit Sicht- und Schnupperkontakt oder es bleiben genügend Personen
zum Schutz mit in der Box.
Frage: Und wenn die Stute ablehnend reagiert?
Castle: Im Notfall kann man bei den ersten Versuchen eine Nasenbremse
einsetzen oder sie sogar leicht sedieren lassen. Innerhalb der ersten drei
Tage entscheidet sich dann, ob die Stute das Fohlen annimmt. Bleibt die
Stute zwar noch unfreundlich, aber mit sich stetig in kleinsten Schritten
verbesserndem Verhalten, so wird sie das Fohlen wohl irgendwann annehmen.
Wenn sich ihr Verhalten aber bei jedem Trinkvorgang eindeutig
verschlechtert, klappt es nicht und man sollte abbrechen.
Frage: Kann man die Akzeptanz der Stute fördern?
Castle: Ja. Der beste Trick ist das Einreiben des Fohlens mit der Nachgeburt.
Der Geruch von Fruchtwasser weckt Muttergefühle in der Stute,
auch wenn es nicht ihr eigenes ist. Außerdem kann man dem Fohlen seinen
„fremden“ Geruch nehmen, indem man beide Tiere mit dem Kot oder
Urin der Stute einreibt. Wir benutzen manchmal auch Kampfer, weil sein
Geruch alles andere überdeckt.
Frage: Wann kommt der Punkt, wo Stute und Fohlen
miteinander allein gelassen werden können?
Castle: Die Stute sollte während der ganzen Gewöhnungsphase immer
wieder aus der Box geführt und bewegt werden, damit sie sich wohl fühlt.
Wenn es so weit ist, dass sie dem Fohlen deutlich freundlicher gegenübertritt,
so können beide miteinander auf dem Paddock spazierengeführt
werden. Dazwischen sollte anfangs noch ein Mensch gehen. Später kann
das Fohlen frei laufen. Oft passiert es dann, dass das Fohlen übermütig
weggaloppiert. Wenn die Stute dann wiehert und es zurückruft, haben
Sie gewonnen.
Frage: Woran erkenne ich, ob ich alles richtig mache und
mein verwaistes Fohlen gut gedeiht?
Castle: Wenn Sie eine Amme haben, erkennen Sie es daran, dass die Stute
das Fohlen angenommen hat und regelmäßig säugt. Wenn Sie es mit der
Flasche aufziehen, sollten Sie in den ersten Tagen alle paar Stunden den
Halsfaltentest machen: Dazu ziehen Sie die Haut am Hals in Falten und
lassen sie wieder los. Ist das Fohlen ausreichend mit Flüssigkeit versorgt,
so geht die Haut sofort zurück in ihre Ausgangslage. Bei einem dehydrierten
Fohlen ist die Falte noch einige Sekunden sichtbar. Dann braucht
es wahrscheinlich eine Infusion vom Tierarzt. Als Grundregel könnte man
sagen: Wenn Sie es schaffen, dass Ihr Fohlen jede Stunde brav säuft, sind
Sie auf dem richtigen Weg.
Adressenliste für den Notfall:
Ammenstuten und Kolostralmilch
(sortiert nach Postleitzahlen)
Ammendienst Gestüt Lindenhof (Kolostralmilch),
Barsikower Weg 6a, 16845 Rohrlack, Tel.: 033928/70389,
Mobil: 0174/1415535, www.pension-gestuet-lindenhof.de
Hof Voss,Bardowicker Str.6, 21357 Wittorf, Tel.: 04133/7271,
Mobil: 0171/8328649, www.fohlennotdienst.info (Fohlenhof und
Fohlen-Notdienst mit Ammenstuten und Kolostralmilch-Depot)
Pferdeklinik Vierhöfen, Lohfeld 3, 21444 Vierhöfen,
Tel.: 04172/6668, Mobil: 0171/4948618 oder 0171/6451628
Fohlennotdienst Tierklinik Sottrum für Norddeutschland,
Deutscher Tierschutzbund/Bremer Tierschutzverein Tierklinik
Sottrum, 27367 Sottrum, Tel.: 04264/3561
Fohlennotdienst Lüneburger Heide,
Bevenser Weg 3, 29576 Tätendorf-Eppensen (Kreis Uelzen),
Tel.: 05806/263, Fax: 05806/263, Mobil: 0171/8328649
hiPRO-FohlenRetter, komplette Erstversorgung in
Notsituationen, Spezial-Pferdenahrung, B. Lenz, Campina Str. 1,
31675 Bückeburg, Tel.: 05722/1095-96, Fax: 05722/3242,
cohipo@spezial-pferdenahrung.de, www.spezial-pferdenahrung.de
Ammenstutendienst der Tierklinik Hochmoor,
Von Braun Str. 10, 48712 Gescher-Hochmoor, Tel.: 02863/20990
Ammenstuten Haflingerzucht Jugendhof Westrich, 67752 Rutsweiler
a.d. Lauter, Tel.: 06304/5155
Stutenmilch-Farm Schwarz,
82272 Steinbach bei Moorenweis (bei FFB), Tel.: 08146/405
Ammendienst GESTÜT ISARLAND,
Ulrike Castle, Heimathshausen, 82319 Starnberg/Percha,
Tel.: 08151/89209, E-Mail: contact@gestuet-isarland.com
(Bundesweite Ammenstuten-Vermittlung, Weitergabe der Telefonnummern
der Halter von Ammenstuten und verwaisten Fohlen,
Bezugsquellen für Kolostralmilch)
Beckers Stutenmilchhof (Kolostralmilch),
Schulstr. 3, 88299 Gebratzhofen/Leutkirch, Tel.: 07563/511
Schweiz: SOS Fohlen-Dienst, Pierre Matile,
Kolostraldatenbank, Tel.: 0041-344025910, www.sosfoals.com
Österreich: Tierklinik Wien, www.vu-wien.ac.at,
Tel.: 0043-1-25077-5453 oder 0043-676-6119305
Weitere Service-Nummern ohne PLZ:
Ammen- und Waisenvermittlung,
Frau Wiegmann, Tel.: 0173/5151395
Ammenstutendienst und Kolostralmilch,
Frau Steindorfer, Tel.: 08533/3332, Mobil: 0171/2683669
Ammenstutenservice Oldenburg,
Hr. Scharmann, Tel.: 0160/90526135
Ammendienst der Traberfakultät, www.winner-circle.de
Quarter Horses, Fohlennotdienst,
Tel.: 089/72447410, www.dqha.de
Fohlennotdienst Masterhorse,
Tel.: 07150/4294, Zusätzliche Nr.: 00800/6278374
Interessengemeinschaft Zugpferde,
Tel.: 02333/80144, www.ig-zugpferde.de
Salvana Ammenstutenservice und Fohlennotdienst,
Tel.: 04121/80461
(Achtung: Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.)
Quelle:
Regina Käsmayr für westernreiter (EWU)
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Petra Roth-Leckebusch für den Bereich Zucht. Zum
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