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Besser als sein Ruf
Woher kommt nun der schlechte Ruf?
– Oft liegt es daran, dass viele Züchter in den letzten Jahren besonderes
Augenmerk auf ein Schaupferdeexterieur gelegt haben. Um ein
immer schöneres und typvolleres Arabisches Pferd zu erhalten, mit
vermeintlich spektakulären Bewegungen und ausgeprägten Hechtköpfchen
(Dish), werden Modehengste eingesetzt, um auf Schauen
erfolgreich zu sein. Diese Hengste haben oft über Generationen keine
Sättel mehr getragen. So wird die Selektion auf Leistung, Reiteigenschaften
und Charakter, was über Jahrhunderte hinweg ein wichtiger
Bestandteil der Araberzucht war, stark vernachlässigt. Hinzu kommt,
dass immer wieder Pferde, die für die große Schaukarriere unbrauchbar
sind, als günstige Freizeitpferde angeboten werden, häufi g aber
keinerlei Reitpferdepoints besitzen und dadurch weder einen entsprechenden
Körperbau noch den dazu gehörigen, mental starken Charakter
aufweisen.
Dies führt dazu, dass in manchen Ställen nervlich nicht zu belastende,
vom Charakter her schwierige und mit Gebäudemängeln behaftete
Araber stehen, deren Besitzer kaum mit den Tieren umgehen können
und die dann als „Arabische Problempferde“ von sich reden machen.
Dass die positiven Beispiele natürlich deutlich weniger auffallen, liegt
in der Natur der Sache. Aus Studien wissen wir, dass über ein schlechtes
Produkt zwölfmal mehr geredet wird, als über ein gutes Produkt
– nicht anders verhält es sich bei Reitern und ihren Pferden.
Dabei wird dem Arabischen Pferd und den Züchtern Unrecht getan,
die seit Generationen auf Leistung und Rittigkeit züchten. Denn der
Araber als ältestes reingezogenes Pferd der Welt steckt nicht nur in
fast allen anderen Pferderassen als Veredler, sondern ist schon immer
ein Kriegs- und Reitpferd gewesen, das sich durch seine Schnelligkeit,
Ausdauer und Härte auf der ganzen Welt verbreitete. Erst in den letzten
Jahrzehnten wurde die Zucht besonders bei den Vollblut-Arabern
in Schaupferde und Reitpferde aufgesplittet.
Voraussetzungen für Funktionalität:
Interieur & Exterieur
Bevor man mit der Ausbildung eines Arabers
zum Westernreitpferd beginnt, sollte man
sich die simple Frage stellen, ob das Pferd sowohl
physisch als auch psychisch überhaupt
in der Lage ist, die geforderten Leistungen
zu erbringen. Ein hibbeliges, nervöses Pferd
mit schlechter Gliedmaßenstellung und unklar
getrennten Gängen wird es dem Reiter
schwieriger machen als ein Pferd, welches
von cooler Mentalität ist, korrekt auf allen
vier Beinen steht und wohl proportioniert ist.
Der beste Grundstein für ein arabisches Westernpferd
ist daher in erster Linie ein korrekter
Körperbau.
Der Araber sollte stets über eine mittlere
Größe sowie über ein korrektes und kräftiges
Fundament mit starken Knochen, Gelenken
und einwandfreie Hufe verfügen. Die Brust
sollte nicht zu schmal sein (denn oft sind
diese Pferde unausbalanciert) und zudem
eine gute Tiefe besitzen. Die Proportionen
von Vor-, Mittel- und Hinterhand sollten in
einem Verhältnis von 1:3 stehen. Das Verhältnis
zwischen Beinlänge und Rumpftiefe sollte
ebenfalls gleich sein; schlaksige Pferde sind
deutlich unausbalancierter. Genauso wichtig
sind eine tief bemuskelte und kräftige Hinterhand
mit langer und guter Winkelung und
eine nicht zu steile Schulter. Schulter, Hinterhand
sowie Ober- und Unterlinie sollten die
Form eines gleichschenkeligen Trapezes aufweisen.
So liegt der Schwerpunkt des Pferdes
mehr in der Körpermitte, was dem Pferd den
gewünschten Hinterhandeinsatz deutlich erleichtert
und sich positiv zudem auf die Balance
auswirkt.
Daneben besitzt ein Pferd mit schräger und
gut gewinkelter Schulter einen guten Raumgriff
und die Gänge sind i. d. R. weich zu sitzen,
denn die Schulterstellung begünstigt die
beim Westernreiten gewünschten fl achen,
weichen und runden Bewegungen. Der Oberarm
sollte im Verhältnis zur Röhre nicht zu
kurz sein.
Neben den Knochenproportionen spielt aber
auch die Bemuskelung des Arabers eine
wichtige Rolle. Ein gut bemuskelter Rücken
und starke Lenden sind neben einer langer
Hüfte und kurzen Röhrbeinen z.B. für das
Stoppen oder enge Wendungen, wie sie beim
Westernreiten häufi g vorkommen, wichtig.
Die gerade und relativ kurze Kruppe bei den
Vollblutarabern steht diesem Umstand leider
häufi g im Weg, eine gut geeignete Kruppe ist
aber durchaus bei einigen Rassevertretern
zu fi nden. Wieso haben Araber diese Kruppe?
Der ursprüngliche Araber hat ein hohes
Kreuzbein, dadurch einen hohen Schweifansatz
und eine 90° Winkelung der Hinterhand.
Dieser Umstand ermöglicht ihm, sich mit
fl achen Gängen sehr ökonomisch und Kraft
sparend über lange Strecken fortzubewegen
– was ihm beim Distanzreiten natürlich zu
Gute kommt, beim Westernreiten aber oft
aufgrund des anderen Anspruchs hinderlich
sein kann.
Gerade im Westernreiten spielt je nach Disziplin
der Galopp eine wesentliche Rolle. Das
Pferd soll dabei den Rücken aufwölben, sich
rund machen und die Hinterhand unter den
Körper schieben. Einige Vollblutaraber springen
– meist aufgrund inkorrektem Gebäude
– häufi g in den Kreuzgalopp, sobald sie aus
der Balance gebracht werden. Dieser Effekt
verstärkt sich oft, wenn das Tempo erhöht
wird. Solche Pferde sollte man meiden.
Bringt der Araber all die o.g. Punkte gebäudetechnisch
mit, darf allerdings eins im
Vergleich zu den klassischen Westernpferderassen
nicht vergessen werden: Der Araber
kommt aufgrund seines Muskelaufbaus ab einem
gewissen Leistungsanspruch z.B. bei sehr
kraftaufwändigen Manövern in der Reining
früher an seine körperlichen Grenzen.
Jahrhundertelang
auf Ausdauer und Langstrecke
gezüchtet, weist der Araber andere Muskelfasern
auf, als ein auf Kraft und Schnelligkeit
gezogenes Quarter Horse. Verdeutlichen kann
man sich diesen Umstand, indem man die
Muskelfasern und -ausprägungen eines 100
Meter-Sprinters und eines Marathonläufers
bei den Olympischen Spielen vergleicht.
Was dem Araber aber oft an Kraft fehlt, bügelt
er durch andere Stärken wie seine Sensibilität
wieder aus, denn sie begünstigt,
dass man ihn mit leichter, kaum sichtbarer
Hilfengebung reiten kann. Seine mitgebrachte
Intelligenz lässt den Araber zudem neue
Manöver und Lektionen schnell erlernen. Um
im Westernsport erfolgreich sein zu können,
sollte man deshalb stets auch auf ein ausgeglichenes
Interieur achten. Nur ein nervenstarker,
kooperativer und willig mitarbeitender
Araber eignet sich für das Westernreiten.
Er sollte in jeder Situation mental ausgeglichen,
belastbar und leistungsbereit sein und
in Stresssituationen nicht hektisch oder gar
panisch werden.
Sind Araber schwierig zu trainieren?
Oft hört man, dass der Charakter des Arabers
für das Training als schwierig beschrieben
wird. Auf den zweiten Blick zeigt sich erst
warum. Der Araber besitzt von Natur aus ein
relativ großes Vertrauen und eine große Menschenbezogenheit,
er ist sehr aufgeschlossen
und neugierig.
Durch einen fairen Umgang und intelligent
aufgebautes Training sollte diese Vertrauensbasis
unbedingt erhalten, und nicht durch zuviel
unnötigen Druckaufbau zerstört werden.
Vielen Trainern fehlt dazu leider das nötige
Feingefühl.
Auch die ihm oft nachgesagte Sturheit ist im Prinzip eine Form der
Intelligenz. Häufi g sieht der Araber einfach nicht ein, warum er denn
nun genau dieses Manöver ausführen soll. Hat man ihn aber vom
Spaß einer Lektion überzeugt, wird er auch nicht mehr nachfragen,
sondern das Gewünschte stets punktgenau ausführen.
Viele Reiter haben zudem mit dem Übereifer des Arabers zu kämpfen.
Aber auch hier sitzt das Problem meist im Sattel. Ein monotones
und demzufolge langweiliges Training mit ein und denselben Manövern
ödet den Araber schnell an, sodass er sich selbst ein wenig
Abwechslung mit „Blödsinnmachen“ verschafft. Zudem sollte man
grade als Araberreiter darauf achten, Manöver immer in Einzelteile
zu zerlegen und z.B. am Stangen-L jeden einzelnen Schritt herauszureiten,
anstatt das Pferd durchlaufen zu lassen. Sollte sich nämlich
an dem Hinderniss in der Prüfung einmal eine kleine Abweichung
ergeben, nimmt der recht intelligente Araber die Übung vorweg,
getreu dem Motto: „Ich weiß, wie es geht!“, und es kommt zu Fehlern.
Wichtig ist, dass der Reiter gedanklich immer einen Schritt dem
Pferd voraus ist und im Training keine Langeweile aufkommen lässt.
Dass der Araber ein temperamentvolles Pferd ist, mit einem nicht
von der Hand zu weisenden Bewegungsdrang und einer je nach
Charakter auch großen Vorwärtsbewegung, ist in der Reiterwelt
wohl bekannt.
Manche Rassevertreter sind „elektrischer“ als andere Pferde. Auch
hierfür gibt es eine Begründung: Als Rennpferd musste der Araber,
genauso wie der Traber oder das Englische Vollblut, sofort bei der
Sache sein und den Hebel auf „Speed“ umlegen, um Adrenalin für
bessere Rennleistung zu produzieren.
Durch gezieltes Training kann man sich diese Eigenschaft aber auch
zu Nutze machen und mit Geschick, Erziehung und artgemäßer Haltung
in die richtigen Bahnen lenken.
Sehr wichtig sind deshalb eine artgemäße Aufzucht mit ausreichend
Bewegungsfl äche und vielen Umweltreizen sowie eine gute Erziehung.
Denn gerade unausgeglichene und kaum erzogene Araber
tragen zum schlechten Ansehen der Rasse bei. Schafft man gute
Grundvoraussetzungen, so erhält man ein zuverlässiges Reitpferd,
welches umsichtig und sensibel im Umgang und leicht zu Händeln
ist.
Ebenfalls erwähnt werden sollte, dass der Araber eine ungerechte
und brutale Behandlung sehr schnell übel nimmt. Methoden, die
mit Horsemanship so wenig gemein haben wie Sankt Pauli mit einem
katholisches Mädchenkloster werden beim charakterstarken
Araber nicht Resignation und Fügung hervorrufen, sondern Gegenwehr
und Widersetzlichkeit. Bleibt man aber stets fair und arbeitet
sinnvoll, wie es eigentlich bei jeder Pferderasse sein sollte, werden
schnell große Fortschritte zu erkennen sein. Das soll nicht heißen,
dass der Araber nur mit Samthandschuhen angepackt werden darf,
ganz im Gegenteil: Konsequenz, Fairness und das richtige Timing
sollten stets bei Lob und Korrektur zugegen sein.
Quelle:
Cassandra Mrotzeck für westernreiter (EWU)
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