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Im Frühjahr und Sommer werden Stuten alle drei Wochen zimperlich.
„Sie steht, schleimt und blitzt“, heißt es dann im Züchterjargon.
Die Rosse der eigenen Stute ist bei Reitern nicht allzu beliebt. Auf
Turnier wird das Hormonproblem sogar weggespritzt. Entgegen
aller Gerüchte sind Stuten in dieser Zeit aber trotzdem leistungsfähig,
und das „Zicken“ macht sogar Sinn.
Rossige Stuten sorgen im Reitstall meist
für Augenrollen und entnervtes Stöhnen.
Kein Wallach ist kastriert genug,
um nicht interessiert zu gucken, wenn die Hinterbeine
gespreizt, der Schweif gehoben und
mit den Schamlippen geblitzt wird. Im unbeliebtesten
Fall spritzt die betreffende Pferdedame
auch noch ein gelbliches Schleim-Urin-Gemisch
in die Richtung des Auserwählten. Nicht einmal
andere Stuten sind vor ihr sicher.
Was dabei im Körper der Stute passiert, ist
ein von der Natur ausgeklügeltes kleines
Wunder:
Das Hormon Östrogen lässt im Eierstock
ein Eibläschen (Follikel) reifen. Nach drei
bis sieben Tagen erfolgt der Eisprung. Doch das
Östrogen kann noch mehr: Gebärmutter, Gebärmutterhals
und Scheide werden schlaff und
weich, die Scheide rötet sich. Beste Voraussetzungen
für den Deckakt und das Einnisten einer
befruchteten Eizelle. Aus dem Follikel bildet sich
anschließend ein Gelbkörper, der das Hormon
Progesteron freisetzt. Dieses bereitet die Gebärmutter
für die Aufnahme eines Embryos vor.
„Progesteron wirkt ähnlich wie Testosteron. Es
steigert die Verteidigungsbereitschaft der Stute“,
sagt Dr. Dominik Burger, Leiter der Klinik
und des Reproduktionszentrums am Schweizer
Nationalgestüt. „Die Zickigkeit der Stute in diesem
Stadium ist also sogar gut. Sie verhindert,
dass sie noch einmal gedeckt wird, denn das
wäre jetzt fatal.“
Dr. Burger vermutet, dass Stuten vor der Domestikation
durch den Menschen sogar noch
viel zickiger waren. Eine dem Urpferd nahe
stehende Przewalski-Mix-Stute, die er zu Forschungszwecken
beobachtete, übertraf alle ihre
Geschlechtsgenossinnen an Kratzbürstigkeit.
Die Intensität schwankt von Pferd zu Pferd.
Während manche Stuten still und unbemerkt
vor sich hin rossen, mutieren andere zu wahren
Xanthippen. Wenn Reaktionen der Stute über
das Progesteronbedingte Normalmaß hinausgehen,
könnte es sich um ein ungewöhnliches
gynäkologisches Problem handeln: „Viele Stuten
haben eine Fehlstellung der Scham“, weiß
Dr. Burger. „Durch die Einkreuzung von Vollblütern
liegt sie zu weit oben. Dadurch saugen
Sie beim Galoppieren Luft an. Während der
Rosse verstärkt sich dieses Problem, weil die
Geschlechtsorgane sehr weich sind.“ Das führt
zu chronischem Stress und Verspannung. Abhilfe
schafft in 60 % aller Fälle eine Operation,
bei der der obere Teil der Scham vernäht wird.
In einer aktuellen Studie wurden 14 Stuten
mit Leistungsproblemen wie Schlagen gegen
das Bein des Reiters, Bocken, Rückhältigkeit,
Schweifschlagen und/oder Rückenproblemen
einer solchen „Caslick Operation“ unterzogen.
Bei 12 der 14 Stuten wurden die Leistungsprobleme
vollständig (57%) oder teilweise (29%)
innerhalb der 6 Monaten beseitigt.
Wer genau hinhört, kann das Ansauggeräusch
beim Galoppieren sogar hören. Im Zweifelsfall
sollte man überprüfen, ob die Scham tiefer angelegt
ist als der Beckenboden. Liegt sie höher,
so neigt die Stute zum „Luft ansaugen“.
Quält sich eine Stute ständig mit Rosseproblemen,
so gibt es auch die Möglichkeit, eine
einfache Glasmurmel in die Gebärmutter zu implantieren.
Die Hälfte aller Stuten haben dann
drei bis vier Monate lang keinen Zyklus mehr,
weil die Kugel eine Trächtigkeit suggeriert.
Zahlreiche internationale Turnierreiter zögern
bei ihren Hochleistungsstuten die Rosse durch
ein Hormonpräparat hinaus, wenn ein wichtiges
Turnier ansteht: Regumate ist ein Progestagen,
das die Rosse unterdrückt. Das Medikament ist
von der FEI auf Turnieren zugelassen, damit Stuten
jederzeit die gleichen Chancen haben.
Reining-Profi Nico Hörmann, der unter anderem
mit der Stute Sparkles Pretty Gal erfolgreich ist,
wendet Regumate aber nicht an. „Das Regelwerk
von Medikations- und Dopingkontrollen
ist gerade im Pferdesport sehr kompliziert und
umfangreich, so dass ich aus eigener Erfahrung
nur jedem raten kann, der so ein Mittel einsetzen
möchte, sich sehr genau zu informieren und
sich gegebenenfalls Genehmigungen nur auf
offiziellen Schriftbögen geben zu lassen“, warnt
er. Bei seinen Turnierstuten stellt Nico Hörmann
ohnehin keine allzu großen Veränderungen oder
Probleme in der Rittigkeit fest. „Stuten können
manchmal etwas schwierigere Tage haben, das
kann aber auch völlig unabhängig von der Rosse
vorkommen“, sagt er. „Die Stuten, die turnierfertig
ausgebildet sind, können meist auch
die Konzentration aufrecht erhalten und sich
auf die Arbeit konzentrieren, obwohl sie rossig
sind.“
Spring- und Dressurreiter klagen jedoch oft über
veränderte Reaktionen von rossigen Stuten auf
den Schenkel des Reiters. Dieser nämlich erinnert
hormongesteuerte Pferdedamen entfernt
an das Klammern eines aufspringenden Hengstes.
Je nach Rossezeitpunkt und individueller
Sensibilität reagiert jede Stute anders darauf.
„Manche ziehen sich auf Schenkeldruck zusammen,
andere werden aggressiv, doch die meisten
sind etwas träger. Dadurch ist die Reaktion
etwas versetzt“, sagt Theo Muff, der für das Gestüt
Schlösslihof mehrere Stuten reitet. Auch er
hat die Erfahrung gemacht, dass Stuten durch
Zuchtselektion heutzutage nicht mehr so zickig
sind wie vor 20 Jahren. „Manchmal ist es nur
die Unsicherheit der Pferdebesitzer, die ein Problem
aus der Sache macht“, findet er. Am besten
sei es daher, im Umgang mit dem Tier auf
die Rosse überhaupt nicht einzugehen. Auch er
setzt deshalb kein Regumate vor Turnieren ein.
Privatpferde-Besitzer verabreichen das Medikament
meist dann, wenn ihre Stute eine Dauerrosse
entwickelt, und diese nicht durch ein
gynäkologisches Problem wie Tumore an den
Eierstöcken entstanden ist.
Nur fünf bis zehn Prozent aller Dauerrossen haben
laut Dr. Dominik Burger körperliche Auslöser.
In der Regel handle es sich dabei eher um
ein Verhaltensproblem. Da dieses Phänomen in
Wildpferde-Herden nicht bekannt ist, vermutet
Dr. Burger einen Zusammenhang mit der Haltung.
Einzelaufstallung, soziale Störungen, wenig
Sonnenlicht und der Gesundheitszustand
beeinflussen den Zyklus einer Stute. Aber auch
vor und während des Haarwechsels treten Zyklusprobleme
auf. Auch geschorene Pferde
scheinen eine schlechte Fruchtbarkeitsrate aufzuweisen.
Überfütterung führt zu Progesteron-Einlagerungen
im Fettgewebe, Unterernährung zu inaktiven
Eierstöcken. Wenn homöopathische Mittel
und Mönchspfeffer-Samen nicht mehr helfen,
kann Regumate schnell Abhilfe schaffen. Zu beachten
ist dabei allerdings, dass Frauen im gebärfähigen
Alter das Mittel entweder gar nicht
oder nur mit Schutzhandschuhen verabreichen
sollen – die enthaltenen Hormone schaden
auch dem menschlichen Zyklus.
Um die Rosse auf bestimmte Zeit zu verschieben,
gibt es auch eine Hormonspirale für Pferde.
Diese funktioniert allerdings nicht wie beim
Menschen als dauerhafte Empfängnisverhütung,
sondern wird einige Tage lang eingesetzt,
um nach ihrer Entfernung gezielt eine Rosse
auszulösen. Wesentlich länger hält eine GnRHImpfung
den Zyklus zurück. Diese Spritze kann
sowohl Stuten als auch Hengsten verabreicht
werden und sei gewissermaßen eine „reversible
Kastration“, sagt Dr. Burger. „Hengste sind dadurch
etwa ein Jahr lang Wallache und danach
wieder Hengste.“ Sieben von zehn Stuten, an
denen der Impfstoff getestet wurde, verhielten
sich ebenso wie Wallache und zeigten keine
Rosse. Die übrigen drei hatten zwar keinerlei
Eierstock-Aktivität, rossten aber trotzdem. „Daran
erkennt man, dass dieser Prozess nicht nur
von Hormonen, sondern auch vom Kopf gesteuert
wird“, so Dr. Burger.
Das Rosseverhalten einer Stute kann sich im
Laufe ihres Lebens stark verändern. Während
junge Stuten oft sehr verhaltene Symptome
zeigen, rossen ältere Stuten, die bereits Fohlen
hatten, stärker. „Hochzickig“ seien laut dem
Veterinärmediziner aber meist diejenigen Damen,
bei denen kaum körperliche Symptome zu
erkennen sind. Weshalb, ist unklar. Im Sexualverhalten
von Pferden seien viele Fragen noch
nicht wissenschaftlich geklärt. „Obwohl sich
immer mehr Leute dafür interessieren. Neulich
wurde ich gefragt, ob eine Stute einen Koitus
empfinden kann. Es wird noch lange dauern, bis
wir das wissen“, glaubt Dr. Burger.
Ebenfalls ungeklärt ist, ob auch Pferde in die
Wechseljahre kommen. Biologisch wäre das
zwar möglich, in der Praxis werden aber die
wenigsten Stuten so alt, dass sich ihre Ovartätigkeit
einstellt.
Weitere Infos:
- Stuten sind mit etwa 18 Monaten
geschlechtsreif.
- Der Fortpflanzungszyklus ist saisonal bedingt.
Im Winter (November bis Januar)
setzt die Rosse deshalb in der Regel aus.
- Ein Zyklus beträgt etwa 21 Tage.
- Bei Ponys ist der Zyklus etwa 2 Tage
länger als bei großrahmigen Stuten.
- Die Dauer der Rosse beträgt 3 bis 7 Tage.
- Rosse-Probleme können auch Probleme
im muskulären Bereich nach sich ziehen.
Deshalb sollte im Rahmen der Diagnostik
von problematischen Stuten auch eine
gründliche orthopädische Untersuchung
mit Augenmerk auf die Muskulatur, den
Rücken und die Kniescheibenfunktionalität
durchgeführt werden.
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